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Soziale Herkunft als Karriere-Bremse

Insa Wrede
31. Mai 2022

Viele Firmen haben verstanden, dass mehr Diversität zu größerem Erfolg führt und tun einiges, um etwa Diskriminierung von Frauen zu verhindern. Weniger im Blick ist meist Benachteiligung aufgrund der sozialen Herkunft.

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Deutschland Symbolbild Kinderarmut
Bild: Thomas Eisenhuth/ZB/dpa/picture alliance

Wer Leistung zeigt und fleißig ist, dem stehen in Deutschland alle Türen offen. Hört sich gut an, entspricht aber leider nicht der Realität. Es müsste noch "wer aus dem richtigen Stall kommt" hinzugefügt werden. Oft ist es so, dass Talent und Einsatzbereitschaft nicht genügen; Menschen müssen auch die versteckten Codes der Eliten verstehen, wissen, wie man sich benimmt, die richtige Kleidung tragen, die richtigen Hobbys haben und den richtigen Sprachstil, damit sich die Türen zu den Chefetagen öffnen. Sprich: Die soziale Herkunft bestimmt entscheidend mit, welche akademischen und beruflichen Chancen jemand bekommt und inwieweit er oder sie Diskriminierung erfährt.

Die Diskriminierung fängt in Deutschland schon früh an. "Kinder aus akademisch gebildeten Familien kommen zu mehr als 80 Prozent aufs Gymnasium. Bei Kindern aus formal weniger gebildeten Familien sind es nicht mal die Hälfte", sagt Konstantina Vassiliou-Enz. Sie ist Journalistin und eine der Gründerinnen der Beratung Diversity Kartell, das sich für mehr Diversität in den Medien einsetzt.

Auch der anschließende Bildungsweg korreliert oft mit dem Bildungsgrad der Eltern. So beginnen von 100 junge Menschen aus Akademikerfamilien 79 ein Hochschulstudium, dagegen fangen nur 27 von 100 Kindern aus Nicht-Akademiker-Familien ein Hochschulstudium an.

Olympia 2020 Tokio | Segeln
In einer US-amerikanischen Studie wurden fiktive bis auf die Hobbys identische Lebensläufe an renommierte Kanzleien geschickt. Das Ergebnis: 16 Prozent der Bewerberinnen und Bewerber mit elitären Hobbys wie Segeln, Polo oder klassischer Musik wurden zu Bewerbungsgesprächen eingeladen, und nur ein Prozent derjenigen mit nicht-elitären Hobbys.Bild: Carlos Barria/REUTERS

Soziale Herkunft kann nicht isoliert betrachtet werden

Neben der Bildung der Eltern gibt es noch weitere Aspekte, die die soziale Herkunft mitbestimmen. Relevant ist auch die sozioökonomische Stellung der Familie, beispielsweise über welches Vermögen die Eltern verfügen oder ob sie eine Arbeit haben. Erschwerend hinzu kommt, dass diejenigen, die aus einer unteren sozialen Schicht kommen, häufig noch aufgrund weiterer Eigenschaften diskriminiert werden, beispielweise wenn sie zusätzlich einen Migrationshintergrund haben.

"Für den Bildungserfolg in Deutschland sind besonders das Einkommen und Bildungsniveau der Eltern entscheidend und Kinder mit Migrationshintergrund zum Beispiel kommen häufiger aus Familien mit geringem Einkommen", erklärt Vassiliou-Enz.

Infografik Kern-Dimensionen der Vielfalt DE

Der Weg von ganz unten ist risikoreich und steinig

Sie selber hat den Aufstieg geschafft. Aber vielen anderen fällt schon die Entscheidung nicht leicht, in die eigene Bildung zu investieren. Menschen aus prekären Verhältnissen können oft nicht von ihren Eltern unterstützt werden, wenn sie finanzielle Probleme bekommen, erläutert Vassiliou-Enz. Manchmal müssten sie eher noch ihren Eltern unter die Arme greifen.

Somit kann es sich auch nicht jeder leisten, unbezahlte Praktika zu machen. Menschen aus privilegierten sozialen Schichten haben meist bessere Netzwerke, um solche gefragten Praktikaplätze zu bekommen. Wer sich für ein Studium entscheidet, muss sich unter Umständen dafür entscheiden, eines Tages Studien-Schulden zurückzahlen zu müssen. Das fällt Menschen aus prekären Verhältnissen weniger leicht.

Kurzum: "Menschen aus armen Familien müssen ungleich mehr Risiken auf sich nehmen und mehr leisten, um aufzusteigen, als die, die in die Mittelschicht oder ins Bildungsbürgertum hineingeboren wurden", so Vassiliou-Enz, die selber in einer, wie sie sagt, armen Familie groß geworden ist. "Ich wollte es mir nicht leisten zu studieren", erinnert sie sich. Als Kind einer Familie, in der kein Geld war, habe sie erstmal selber eigenes Geld verdienen wollen, anstatt zu studieren und Schulden zu machen.

Universität Bonn Absolventenfeier
Soziale Unterschiede werden in Deutschland quasi weitervererbt. Nur etwa ein Viertel der jungen Erwachsenen in Deutschland hat einen höheren Bildungsabschluss als die Eltern. In anderen Industrieländern schaffen das im Durchschnitt mehr als 40 Prozent, beispielsweise in den skandinavischen Ländern, in Frankreich, in den Niederlanden, in Griechenland, in Russland und in vielen asiatischen Ländern.Bild: Fotolia/marcjohn.de

Eine soziale Aufsteigerin, die andere mitziehen will

"In meinem Fall war es so, dass meine Eltern seit sehr vielen Jahren arbeitslos sind, genaugenommen seit Mitte der 90er Jahre", erzählt Natalya Nepomnyashcha. "Natürlich hatten sie dadurch überhaupt kein Selbstbewusstsein mehr. Und das überträgt sich auf die Kinder, die ebenfalls das Gefühl haben, vielleicht nicht so viel erreichen zu können."

Sie selber hat die Karriere nach oben geschafft, aber nicht auf geradem Weg. Ihre Eltern waren aus Kiew nach Deutschland ausgewandert, Nepomnyashcha wuchs in einem sozialen Brennpunkt in Bayern auf. Sie schaffte den Wechsel von der Haupt- auf die Realschule. Am Gymnasium wurde sie aber trotz guter Noten nicht angenommen. Dem Realschulabschluss folgte eine Berufsausbildung und ein Masterstudium in Großbritannien. Heute arbeitet Nepomnyashcha in einer renommierten Unternehmensberatung und hat nebenbei die Organisation Netzwerk Chancen gegründet, die jungen Menschen aus unteren sozialen Schichten beim Aufstieg hilft.

"Es ist absolut elementar, sich erst mal davon zu lösen, was einem oder einer eingeredet wurde, dass man nicht gut genug ist, dass man nie einen guten Job haben wird", sagt sie heute aus eigener Erfahrung. "Es ist wichtig, sich zu vergegenwärtigen, was die eigenen Talente sind, was die eigenen Stärken sind, welche Jobs einem Spaß machen." Netzwerk Chancen unterstützt junge Menschen aus sozial schwierigen Verhältnissen auf dem Weg nach oben mit kostenlosem Coaching, Workshops, Mentoring und der Jobsuche auf dem Weg nach oben.

Natalya Nepomnyashcha | Gründerin Netzwerk Chancen
"Seitdem die Charta der Vielfalt "soziale Herkunft" als Diversity Dimension aufgenommen hat, hat sich sehr viel verändert. Das merken wir auch bei Netzwerk Chancen, weil viele Unternehmen und andere Arbeitgebende auf uns zukommen und fragen, wie sie Diskriminierung vermeiden können", sagt Natalya Nepomnyashcha.Bild: Netzwerk Chancen

Mehr soziale Diversität in Unternehmen

Um Diskriminierung aufgrund sozialer Herkunft zu vermeiden, ist es nicht nur wichtig, die Betroffenen zu unterstützen. Auch von der anderen Seite aus müssen Steine aus dem Weg geräumt werden. Die meisten Menschen würden wohl bestreiten, dass sie Menschen aus einem anderen sozialen Milieu benachteiligen. Studien zeigen aber, dass die Tendenz besteht, Personen, die einem ähnlich sind, zu bevorzugen. Die Ursache sind unbewusste Vorurteile.

Schwierig ist auch, dass Diskriminierungen aufgrund von sozialer Herkunft weniger gut sichtbar sind, als wenn Menschen aufgrund von Alter, Hautfarbe oder Migrationshintergrund benachteiligt werden. Daher ist es umso wichtiger, dass Menschen in Bildungseinrichtungen, in Personalabteilungen in dieser Hinsicht geschult werden und ihr eigenes Handel kritisch hinterfragen.

Symbolbild: Bewerbung - Vorstellungsgespräch
Von 580 Führungskräften bestätigten etwa die Hälfte, sie hätten schon einmal beobachtet, dass Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aufgrund ihrer sozialen Herkunft benachteiligt werden - vor allem durch Ausgrenzung in der Kommunikation, aber auch unfaire Bewerbungsverfahren oder Geringschätzung ihrer Leistung. Das ergab eine Umfrage der Charta der Vielfalt 2020.Bild: picture alliance/dpa/B. Pedersen

Das fängt zum Beispiel bei Job-Ausschreibungen an, sagt Nepomnyashcha. Ihre Organisation empfiehlt, bei Stellenausschreibungen weniger auf die Qualifikation der Bewerber, sondern mehr auf deren tatsächliche Kompetenz zu achten. Da gerade soziale Aufsteigerinnen und Aufsteiger oft nicht an Top-Unis gewesen seien oder nicht unbedingt hervorragende Noten haben. Talentiert können sie aber trotzdem sein, so Nepomnyashcha.

Auch die Medien gelten als relativ homogen und weniger divers. In den Redaktionen sitzen überwiegend Menschen mit Hochschulabschluss. "Aber mittlerweile ändert sich das in einigen Häusern", sagt Vassiliou-Enz. So habe der Hessische Rundfunk (HR) und der Südwestrundfunk (SWR) als Eingangsvoraussetzung zum Volontariat zuletzt nicht mehr unbedingt ein Studium verlangt, sondern auch Berufsausbildungen akzeptiert.

Auch wenn es unbequem ist, für Unternehmen lohnt es sich, auf Diversität zu setzen. 50 Prozent des in Deutschland prognostizierten Fachkräftemangels könnte durch personelle Vielfalt in den Unternehmen abgefedert werden, so eine Studie der Unternehmensberatung McKinsey. Ist der Vorstand eines Unternehmens in ethnischer Hinsicht vielfältig besetzt, ist die Firma zu 36 Prozent überdurchschnittlich profitabel. Für diese Studie wurden Daten von mehr als 1000 Unternehmen in 15 Ländern analysiert.

Insa Wrede Redakteurin in der Wirtschaftsredaktion