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Gaza: Schwimmender Hafen soll humanitäre Hilfe erleichtern

3. Mai 2024

Der von den USA gebaute Behelfshafen vor Gazas Küste nimmt bald seine Arbeit auf. Das Projekt ist teuer, die Logistik kompliziert, aber es könnte die Not der Menschen im Gazastreifen lindern. Doch die Bedenken sind groß.

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Gaza | Aufbau eines schwimmenden Piers durch US-Armee und Marine im Mittelmeer
Auf dieser schwimmenden Plattform im Meer sollen demnächst Hilfsgüter für Gaza umgeladen werdenBild: U.S. Army/AP Photo/picture alliance

Träge dümpelt die Plattform in der See, mehrere Stahlpontons sind am Meeresboden verankert und zu einer großen, beinahe quadratischen Fläche zusammengebaut. An einer Seite erstreckt sich ein langgezogener Pier: Landeplatz für die bald zu erwartenden Schiffe, die dringend benötigte Hilfsgüter nach Gaza bringen sollen. So legen es die Bilder nahe, die das US Central Command Anfang dieser Woche auf der Plattform X veröffentlicht hat.

Komplizierte Logistik für den Hafen vor Gaza

Mittlerweile sind die Arbeiten an dem US-amerikanischen Behelfshafen so gut wie abgeschlossen. Mehrere Meilen vor der Küste Gazas liegt diese schwimmende Landestelle. Er wird von rund 1000 bewaffneten US-Soldaten bewacht. Auch sie sind Teil einer komplexen Logistikkette, die insgesamt mindestens 320 Millionen US-Dollar kostet.

Gaza | Blick auf Küste und Bauarbeiten zum Abladen von Hilfsgütern
Satellitenbild der im Bau befindlichen Hafenanlage nahe Gaza-Stadt (23.4.2024)Bild: Maxar Technologies/Handout via REUTERS

Die Plattform auf See ist nur der erste Anlandepunkt für die Hilfsfrachter, die aus dem 200 Seemeilen entfernten Zypern kommen. Das Meer vor Gaza ist zu flach, um die Küste direkt anzusteuern. Deshalb werden die Paletten mit Hilfsgütern hier entladen und per Gabelstapler auf Lastwagen umgeladen. Diese LKW werden dann auf kleinere Armeeschiffe gefahren und mehrere Meilen weitertransportiert.

Etwas südlich von Gaza-Stadt, wurde aus weiteren Pontons ein zweispuriger Damm errichtet. Er ragt rund 600 Meter ins Meer hinaus und wurde vom israelischen Militär an der Küste verankert. Hier werden die LKW wieder abgeladen. Sie fahren dann über den Damm zu einem Abgabebereich, der von Israel militärisch gesichert wird. Hier werden die Paletten dann an Hilfsorganisationen verteilt, die sich um die weitere Verteilung kümmern. 

Für die Zivilbevölkerung im Gazastreifen könnte dies tatsächlich eine spürbare Erleichterung bringen. Anfangs sollen über diesen Weg täglich 90 LKW mit Hilfsgütern nach Gaza gebracht werden. Sobald der Hafen voll funktionsfähig ist, soll die Anzahl auf 150 LKW-Ladungen pro Tag wachsen.

Streit um Sinn und Unsinn des Projektes

Doch in den USA selbst regt sich Widerstand - nicht nur wegen der hohen Kosten des Projektes. Denn nur 30 Kilometer nördlich des Gazastreifens gibt es in Aschdod bereits einen funktionierenden israelischen Tiefseehafen. Logistisch wäre es weit einfacher und günstiger, die Hilfe hierüber und über den jüngst eröffneten Grenzübergang Erez im Norden Gazas abzuwickeln.

Stattdessen verpflichte US-Präsident Biden seine Armee, "eine hochkomplexe, sehr teure Operation mit geringer Produktion durchzuführen, um Nahrungsmittel in den Streifen zu bringen, während er deren Menge mit weitaus weniger Aufwand und Kosten massiv erhöhen könnte", kritisierte etwa der Militärexperte Daniel Davis in einem Beitrag für das Quincy Institute, einer Denkfabrik für US-Außenpolitik.

Er merkte an, dass die USA ihre Druckmittel auf die israelische Regierung nicht ausgeschöpft hätten, Aschdod und Erez für Lieferungen zu öffnen. Tatsächlich steckten mehrere Tonnen an Hilfslieferungen monatelang in Aschdod fest, weil die israelische Regierung sich weigerte, bei der Verteilung mit dem UN-Palästinenserhilfswerk UNRWA zusammenzuarbeiten. Hintergrund sind die Vorwürfe Israels über die mögliche Beteiligung der UNRWA an dem Massaker der Hamas vom 7. Oktober und die Unterwanderung der Organisation als Ganzes von der Hamas. Zudem hatten zuletzt protestierende Israelis Hilfstransporte für Gaza wiederholt blockiert.

Israel | Temporäre Öffnung des Hafens von Ashdod für Gaza-Hilfslieferungen
Israelischer Checkpoint an der Hafeneinfahrt von Aschdod. Um die Öffnung des Hafens für Hilfslieferungen nach Gaza hatte es monatelang Streit gegeben. Bild: Hannah McKay/REUTERS

Sorgen gibt es auch darüber, dass US-Soldaten in Kampfhandlungen verwickelt werden könnten. Zwar hat Präsident Joe Biden "US-amerikanische Stiefel auf dem Boden Gazas" kategorisch ausgeschlossen. Jedoch befinden sich nun rund 1000 US-amerikanische Soldaten dauerhaft zur Absicherung der Plattform in Schussweite nur wenige Kilometer vor der Küste Gazas.

Als die israelische Armee am 25. April ihren Teil des Landesteges verankern wollte, wurden sie mit Mörsergranaten beschossen. In einer Kongressbefragung hielt US-Verteidigungsminister Lloyd Austin einen ähnlichen Angriff auf US-Soldaten für möglich. Bei der Frage, wie diese darauf reagieren sollten, legte er sich jedoch nicht fest.

Die US-Militärpräsenz sorgt aber auch auf palästinensischer Seite teilweise für Unmut. Hier wird in sozialen Medien bereits die Vermutung geäußert, Washington könne im Sinn haben, eine Art militärischen Brückenkopf nach Gaza zu bauen, um Israel bei seinem Kampf gegen die Hamas zu unterstützen.

Die Spekulationen reichen sogar so weit, dass den USA unterstellt wird, die schwimmende Plattform diene eigentlich zur Ausbeutung eines vor der Küste Gaza liegenden Gasfeldes und die humanitäre Hilfe sei nur ein Deckmantel. Zwar gibt es hierfür keinerlei belastbare Hinweise - es zeigt aber deutlich, wie sehr auf palästinensischer Seite dem Hafenprojekt misstraut wird. 

Ein Panzer ist inmitten von Trümmern und zerstörten Gebäuden zu sehen
Die Zerstörung ist immens, die Sicherheitslage prekär: Im Norden Gazas wird noch immer teils heftig gekämpftBild: Ronen Zvulun/Reuters

Wer verteilt die Güter?

Auf ein weiteres Problem wies Jeremy Konyndyk bereits im März des Jahres hin. "Wer soll die Hilfsgüter verteilen?" fragte der Präsident der Hilfsorganisation Refugees International damals im britischen Guardian. Die Präsenz der Hilfsorganisationen im Norden des Gazastreifens gehe "nahezu gegen Null". Der Seekorridor helfe nur bedingt, vielmehr verlagere er das Problem der Distribution von den Grenzen des Gazastreifens ins Landesinnere. Der Norden Gazas ist völlig zerstört, die öffentliche Ordnung zusammengebrochen.

Erst am Donnerstag beschuldigte die US-Regierung die radikal-islamistische Hamas, die von Deutschland, der EU, den USA und weiteren Staaten als Terrororganisation eingestuft wird, im Norden Gazas erstmals in größerem Umfang Hilfsgüter abgefangen und umgeleitet zu haben. Zwar seien die Güter inzwischen wieder freigegeben und zurück an die humanitäre Organisation übergeben worden. Dennoch zeigt der Vorfall, wie instabil die Lage vor Ort nach wie vor ist. Internationale Hilfsorganisationen haben daher bereits große Sicherheitsbedenken für ihr Personal geäußert. Man befinde sich hierzu noch in Verhandlungen mit den Kriegsparteien.

Thomas Latschan Bonn 9558
Thomas Latschan Langjähriger Autor und Redakteur für Themen internationaler Politik